Von Wald und Weinlagen und dem virtuellen Blick auf schneebedecktes Alpenmassiv

Ein Versuch, in Coronazeiten einen Wettbewerb des Stelvio-Marathon hinauf zum Stilfserjoch in der „flachen“ Pfalz an der Kalmit zu laufen

Der Stelvio-Marathon hat sich in Kürze zu einem spektakulären Topereignis gemausert. Aus dem Stand heraus nämlich konnte sich die Veranstaltung im Südtiroler Vinschgau einen Platz in der internationalen Laufszene sichern dank der 2250 Höhenmeter auf der Marathonstrecke hinauf zum Stilfserjoch, der Querungsstelle von Italien zur Schweiz. Herrliche Ausblicke in die Ortler Alpen entschädigen dabei die Mühen des Aufstiegs über unzählige Kehren, es sei denn, man wähle anstelle der Laufschuhe einen bequemen Weg mit einem fahrbaren Untersatz wie ein PS-starkes Motorrad oder gar ein Auto. 

Virtuell und doch real

Doch in den Coronazeiten ist freilich alles anders. Der für den 13. Juni terminierte 2020er Ausgabe des Stelvio- Marathons musste aufgrund des Veranstaltungsverbots in Italien und den meisten europäischen Ländern abgesagt werden. Stattdessen haben sich die Marathon-Organisatoren um Präsident Peter Pfeifer und OK- Chef Jürgen Geiser für einen virtuellen Lauf entschieden, um in dieser außergewöhnlichen Situation für die Laufgemeinde dennoch etwas Besonderes zum Termin des Stelvio-Marathons zu bieten.

Doch in den Coronazeiten ist freilich alles anders. Der für den 13. Juni terminierte 2020er Ausgabe des Stelvio- Marathons musste aufgrund des Veranstaltungsverbots in Italien und den meisten europäischen Ländern abgesagt werden. Stattdessen haben sich die Marathon-Organisatoren um Präsident Peter Pfeifer und OK- Chef Jürgen Geiser für einen virtuellen Lauf entschieden, um in dieser außergewöhnlichen Situation für die Laufgemeinde dennoch etwas Besonderes zum Termin des Stelvio-Marathons zu bieten.

630 Läufer aus 25 Nationen haben sich für den außergewöhnlichen Stelvio entschieden, gegliedert in die Marathondistanz, „Classic“ über 26 km und „Short“ über 14 km, zudem mit unterschiedlichen Höhenmetern (bis 500, bis 1000, bis 1500, bis 2000 und über 2000 m). Das alles natürlich virtuell, zumeist an den Heimatorten der Läufer, um sowohl die gültigen Abstands- und Hygienevorschriften wie auch die Reiseeinschränkungen einhalten zu können. Bis auf eine kleine Gruppe Unentwegter, die sich auf der Originalstrecke zum Stilfserjoch an diesem Wochenende herausforderten.

Gewertet wurde jedoch nach einer Richtzeit, die sich aus dem Mittelwert aller erzielten Zeiten ergab. Somit erhielten selbst Läufer eine „Siegchance“, die in einem realen Lauf wenig Gelegenheit haben würden, auf das Podium zu springen. Allerdings führte dies zu kuriosen Fällen, dass einige Läufer auf einer topfebenen Strecke ihre Distanz abspulten. So sind in den Listen „Stelvio-Läufer“ zu finden, die mit Höhenmetern von 0 (in Worten Null) und 5 (in Worten Fünf) Metern gelistet sind. Andere haben sich ein profiliertes Gelände ausgesucht, das zumindest einer Steigung der Kategorienwertung weitgehend entspricht. So auch Sylvie und Simone, die die Kalmit im Pfälzer Weinort Maikammer als „Objekt der Begierde“ ausgesucht hatten. Im November ist der Kalmit-Berglauf mit 8,1 km und 505 Höhenmeter mit bis zu 700 Teilnehmer einer der bestbesuchten Bergläufe Deutschlands. Wir haben die beiden bei ihrem „Stelvio-Marathon“ auf der Short distance begleitet.

In Maikammer ist morgens um 10.00 Uhr schon einiges auf den Beinen. Bauern mit Traktoren, Einheimische beim Einkaufen, viele Radler mit professionell wirkendem Outfit, Leute mit Rucksack auf einer Tour durch den Pfälzer Wald – und natürlich zahlreiche Läufer. Sogar einige mit dem Stelvio- Startnummern-Ausdruck. „Die haben sich auch die Kandel für den virtuellen Lauf ausgesucht“, stellt Simone erstaunt fest. „Für uns ist das natürlich fast vor der Haustür“, ergänzt Sylvie, die aus Mannheim angereist ist, während Simone in Karlsruhe beheimatet ist. „Wir haben uns in Abstimmung mit unserem Trainer entschieden, die 8,1 km aufwärts zu laufen, Zwischenzeit zu nehmen und dann so lange den Rückweg bergab zu nehmen, bis die 14 Kilometermarke passiert ist!“ erklären beide unisono einem Journalisten am Start.

„Hoffentlich klappt das mit dem Überspielen der Daten“ macht sich Simone ihren Bedenken noch am Start Luft und blickt auf ihren GPS-Chronometer. Sie kennt übrigens diesen Berglauf zur Genüge, denn die letzten drei Frauenwertungen gingen auf ihr Konto. Und auch Sylvie weiß um die Tücken der Strecke, schließlich war sie im Vorjahr Dritte. „Auf die Plätze… los!“ selbst ein Kommando darf am Bürgerhaus von Maikammer nicht fehlen. „Da sind ganz schön viele Autos unterwegs“, staunt Sylvie nicht schlecht, denn die Stelvio-Läuferinnen gelten an diesem Tag in Maikammer als „Fußgänger“ im öffentlichen Verkehr.

Im Zickzackkurs geht es die enge Straße ortsauswärts in Richtung Kalmit. Der erste Kilometer wird mit 4:20 reichlich flott passiert. Vereinbarungsgemäss laufen zunächst Sylvie und Simone auf einer Höhe, getrennt nur durch die Abstandsformel von 1,5 m. „Mir fällt das Tempo doch schwerer als gedacht, ich hätte doch in dieser Woche nicht so hart trainieren dürfen“, winkt Sylvie etwas resignierend ab und schickt Simone alleine voraus auf die Reise.

Die Kalmitstrecke führt mit Steigungen bis zu acht Prozent stetig bergan durch zunächst Weinberge und Streuobstwiesen, dann nahtlos in einen dichten alten Baumbestand. Wanderer machen sich auf den zahlreichen Parkplätzen mit Sack und Pack auf eine Tagestour bei herrlichem Sommerwetter und bestaunen die beiden Laufgazellen mit der Startnummer auf dem Shirt. „Dass schon so viele Biker unterwegs sind, das überrascht schon“, staunt Simone nicht schlecht. Manche weniger fitte lässt die Allroundläuferin, die zu den besten Straßen- und Bergläuferinnen national wie international in ihrer Altersklasse zählt, mühelos im stetigen Aufwärts hinter sich, andere schalten in einen anderen Gang, um einen stillen Triumph einzufahren.

Die Kehren ähneln freilich der Bergstrecke hinauf zum Stilfserjoch, was fehlt ist allerdings der freie Blick über die Waldgrenze hinaus in das atemberaubende Alpenpanorama in Weiß, denn diese muss zwangsläufig bei einer Gesamthöhe der Kalmit von 673 m ü. M. gestrichen werden.

Bei der Kapelle Wetterkreuzberg wartet Simone auf Sylvie, um sie zum gemeinsamen Weiterlaufen zu animieren, doch diese winkte ab. „Lauf los, ich versuche, mein Tempo durchzuziehen!“ Und Simone nimmt den gewohnten Rhythmus wieder auf und vergrößert Meter um Meter den Abstand. Nach sieben Kilometern ist der große Parkplatz unterhalb des Kalmitgipfels erreicht, auf einem Forstweg geht es den finalen Kilometer zum bewirteten Kalmit-Haus.

Simone blickt auf die Uhr: 39:48. „Trotz meiner Rückenbeschwerden während der letzten Tage ging der Aufstieg doch sehr gut, das habe ich nicht erwartet!“ Und macht sich schleunigst auf den Rückweg bis zum Parkplatz und wartet auf Sylvie, um mit ihr gemeinsam bergab zu laufen. „Was soll ich weiter alleine laufen. Für uns soll dies doch eher ein motivierender Trainingslauf sein, eine erste intensive Belastung!“ Zwei Minuten später ist auch Sylvie am Parkplatz. Sie freut sich über den bisherigen Verlauf des Rennens. „Wenn ich bedenke, dass ich beim Kalmit-Berglauf 40:20 gelaufen bin und jetzt die Zwischenmarke bei unserem 14 km- Lauf nach 41:46 erreicht habe, dann ist das doch gar nicht einmal so übel!“ zieht Sylvie ein erstes Fazit und wischt sich den Schweiß von der Stirn, angesichts der 22° Celsius durchaus verständlich.

Von nun an geht es abwärts. „Den Ortler hätte ich gerne gesehen“, scherzt Simone noch beim Ablaufen. „Aber man kann nicht alles haben. Hopp Sylvie, wir bringen es jetzt hinter uns!“ Und auf geht es in merklich flotterem Tempo bergab. Im Gegenverkehr grüßen viele Radfahrer und so mancher Läufer, sie schimpfen aber auch über eine Zwanziger-Gruppe von Töff-Liebhabern, die mit ihren knatternden Dreckschleudern die Luft blaugrau verpesten. Anerkennende Worte mancher Wanderer begleiten die letzten flotten Kilometer. „Wir haben euch doch schon einmal gesehen“, so bewundernde Zurufe. „Wir euch aber auch“, schallt es unisono zurück.

Inmitten der Streuobstwieden am Ortseingang von Maikammer zeigt die GPS-Uhr exakte 14 km. Schluss aus, das war die Short distance des Stelvio-Marathons! „Das hat wirklich Spaß gemacht“, so Simone und Sylvie unisono.

Doch dann folgt sogleich die Ernüchterung. Sylvies Uhr zeigt 1:07:54 Stunden und 534 Höhenmeter. Ob nun „über Nacht“ die Kalmit um fast dreißig Meter gewachsen ist? Und Simone bei einer um drei Minuten geringeren Laufzeit liest auf ihrer Uhr 1:07:14 Stunden und 463 Höhenmeter ein. „So ein Mist. Meine Uhr kann ich wirklich wegwerfen, da ist nichts mehr verlässliches möglich!“ Sie ärgert sich schon ein paar Minuten lang – dann überwiegt die Freude über ein wirklich gelungenes und vor allem motivierendes Training in Coronazeiten. Das Auslaufen endet beim Eiscafé Lounge Bellini mit zwei Kugeln Eis und einer Latte Macchiato. Wenn das keine gelungene Abrundung für einen Samstagvormittag ist! Schade, das hätte aber am touristisch stark frequentierten Stilfserjoch gewesen sein müssen… Doch in Coronazeiten sind die Maßstäbe anders anzulegen.

In der Ergebnisliste des Stelvio-Marathon liest sich der virtuelle Spaß so: Simone hat mit ihrer „Echtzeit“ (1:04:30) die zehntschnellste Zeit aller Teilnehmer der Kategorie „unter 500 Höhenmeter“ erreicht, wenngleich die Tagesbestzeiten von Robert und Sara unter einer Stunde bei 0 bzw. 5 Höhenmetern erreicht wurde. In der Ergebnisliste nach dem Prinzip der Richtzeit jedoch ist Rang 85 verzeichnet.  Sylvie ist mit ihren 534 Höhenmetern und 1:07:54 Stunden die zweitschnellste Zeit aller Teilnehmer der Kategorie 501 bis 1000 Höhenmetern gelaufen, in der Richtzeit-Rangliste ist dies allerdings dann Platz 57. Soweit die absolut unwesentliche Rangliste….„Die Teilnehmer haben den Namen Stilfserjoch Stelvio Marathon jedenfalls in die Welt hinausgetragen“, so Präsident Peter Pfeifer und OK-Chef Jürgen Geiser in einer ersten Bewertung unisono. „In den sozialen Medien konnten wir einen regen Betrieb zum Event hin beobachten. Auf Facebook, Instagram und Co. verbreitete sich der Stilfserjoch Stelvio Virtual Run wie ein Lauffeuer. Wir freuen uns über einen großen Mehrwert der gelungenen Ersatzveranstaltung!“