Nach dem verpassten Marathon-Olympiastart verläuft die zweite Jahreshälfte für Laura Hottenrott ungleich erfolgreicher, wenngleich sich die Prioritäten erheblich verändert haben. Nach dem Überraschungscoup am Eigergletscher im Berner Oberland holt sich die Neunundzwanzigjährige in der Folgewoche im Trikot des PSV Grün-Weiß Kassel ihren ersten deutschen Meistertitel – bei den Deutschen Berglaufmeisterschaften in Bad Kohlgrub. Bei den Männern hingegen setzte sich ähnlich souverän mit Maximilian Zeus der Meister der Jahre 2017 und 2018 mit seinem dritten Titel durch.
Wohl noch nie wurden bei Meisterschaften die stimmgewaltigsten Teams ausgezeichnet. Geschehen bei den Deutschen Berglauf-Meisterschaften in Bad Kohlgrub. Und die Spendierhosen hatte ein gutgelaunter Mitorganisator und Moderator Markus Zehetmeier an, der sich zur Überbrückung der strammsten Gipfelstürmer im unter anderem 400 Gramm-Käseweitwerfen testete und so machen Volltreffer landete. Im Kurpark kamen dann alle zu Wort, die bei den überaus gelungenen Deutschen Berglaufmeisterschaften tatkräftig Hand angelegt hatten oder zumindest die Weichen für den Erfolg des Skiclub Bad Kohlgrub zu stellen wussten. So habe Bad Kohlgrubs Bürgermeister Franz Degele das Geld nicht anderweitig „verbrannt“, sondern in „schöne Medaillen“ angelegt – die zweifellos bei den Meistern und Platzierten sehr gut ankamen. Das höchst gelegenste Moorheilbad Deutschlands ließ sich die zweiten deutschen Meisterschaften nach den 1908 durchgeführten Skimeisterschaften zum Jubiläum „150 Jahre Heilbad“ einiges kosten, schließlich gibt es nicht alle Tage Leichtathletik-Meisterschaften, noch dazu, wenn sich das Hotel- und Gaststättengewerbe über mangelnden Zuspruch nicht beklagen konnte oder die etwas in die Jahre gekommene Hörnle-Schwebebahn komplett ausgelastet war. Ein herrliches Spätsommerwetter machte ein Übriges, so dass Bayerns Vizepräsident Willi Wahl ein herzliches „vergelt’s Gott“ dem Organisationsteam um Michael Clever hinüberbrachte.
Mit nahezu 450 Teilnehmern (ergänzend zur DM gab es noch 100 Starter beim Hörnle-Jubiläumslauf) durften die Macher auf Verbands- und Organisatorenseite überaus zufrieden sein, zumal die Corona-Pandemie selbst in der ambitionierten Läuferszene ein merkliches Zögern bei der Wettkampfbeschickung hervorgerufen hat. Letztlich führen die unterschiedlich angewendeten Ausführungsbestimmungen mit 3G- bzw. 2G-Regelungen auch nicht gerade zur Euphorie in der seit einigen Wochen allmählich wieder auf Touren kommenden Laufgemeinde. Wie auch immer, die sportliche Note bestimmte die organisatorisch gut gelungene Meisterschaft, sodass selbst die rund 300 m längere Laufstrecke zu neuen Rekordzeiten auf der traditionsreichen Hörnlestrecke führten. So blieben gleich vier Männer unter der von Stefan Paternoster mit 33:11 Minuten fixierten Bestzeit, bei den Frauen waren dies drei, die Ellen Clemens‘ Uraltrekord von 39:35 Minuten unterboten.
„Das ist mein allererster Meistertitel“ freute sich Laura Hottenrott im Ziel vor der Hörnle Hütte auf 1386 m Höhe. Nach einer kurzen Arbeitszeit von 36:48 Minuten stand nach zahlreichen zweiten und dritten Rängen über 10 km und Halbmarathon der erste Titelgewinn fest. Eine Woche nach dem Überraschungscoup beim Jungfrau-Marathon setzte die im Frühjahr trotz einer Marathonsteigerung auf 2:28:02 Stunden an der Olympiateilnahme gescheiterte 29jährige im Trikot des PSV Grün-Weiß Kassel der „late season“ ein kleines Krönchen auf. Die favorisierte Domenika Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) war bereits am Ortsausgang von Bad Kohlgrub geschlagen, als es der erst seit Mitte der Woche in den Startlisten verzeichneten Laura Hottenrott gelang, einen kleinen Vorsprung herauszulaufen. Und dieser wuchs von Kilometer zu Kilometer auf der stark in Wellen hinaufführenden Strecke von 7,03 km und 639 Höhenmetern zum Zielhang. Knapp dreißig Sekunden dahinter kam ihre Regensburger Konkurrentin ins Ziel, die erst am frühen Morgen aus dem Höhentrainingslager in St. Moritz angereist war und sich auf die beiden im Oktober folgenden Titelkämpfe über 10 km und Halbmarathon im Oktober vorbereitet. Im Regensburger Tross war auch Maximilian Zeus angereist, der überraschend sicher nach 2017 und 2018 den dritten Meistertitel seiner Karriere in 32:06 Minuten erlaufen konnte. Hinter dem erst 16jährigen (!) Lukas Ehrle (LG Brandenkopf/ 32:24) folgte mit dem mitfavorisierten Konstantin Wedel (32:51) schon der zweite LG Telis-Finanz-Läufer.
Der Start bei den Deutschen Berglaufmeisterschaften in den Ammergauer Alpen war bei Laura Hottenrott keineswegs geplant, sondern vielmehr ein Start beim BMW Berlin Marathon. „Die Gespräche über einen Start in Berlin mit dem für die Athletenverpflichtung zuständigen Mark Milde liefen für uns enttäuschend, sodass ich mich über meinen Verein kurzfristig zu den Berglaufmeisterschaften nachmelden ließ“, so Laura Hottenrott. Eine sicherlich in der Saisonbilanz des Olympiajahres doch glückliche Entscheidung mit letztlich dem ersten Meistertitel. „Wir haben uns nach dem Frust im Frühjahr entschlossen, in den Sommermonaten einmal andere Prioritäten zu setzen. Der Jungfrau-Marathon war ein tolles Erlebnis, es hat einfach nur Spaß gemacht!“ Und als Dreingabe nun der DM-Titel, der sich bereits schon nahe der Talstation der Hörnle-Schwebebahn mit einem kleinen Vorsprung andeutete. Noch auf der Anreise nach Interlaken hatte Laura einen Abstecher nach Bad Kohlgrub unternommen, um einmal „schnell“ die Hörnle-Strecke in Augenschein zu nehmen.
Für Domenika Mayer war der Start von Laura Hottenrott gewiss eher ein Schlag ins Kontor. „Wir sind in der Vorbereitung auf die Titelkämpfe über 10 km und Halbmarathon und haben den Start bei den Berglaufmeisterschaften ohne entsprechende Vorbereitung mitnehmen wollen. Am Mittwoch habe ich noch einen 33 km-Lauf gemacht…“, so eine sichtlich nicht zufriedene Domenika Mayer, die allerdings im Gegensatz zur neuen Titelträgerin schon eine gewisse Bergaffinität hat, zumal sie 2017 schon bei den Berglauf-Europameisterschaften in Skopje am Start war. „Da der Sommer für mich krankheitsbedingt nicht gut lief, bin ich mit dem Ergebnis nicht einmal unzufrieden!“ Hinzu kam allerdings noch ein zeitlicher Stress am Wettkampfmorgen, denn das ausgewiesene Corona-Testzentrum im nahen Oberammergau öffnete am Morgen mit erst einiger Verspätung.
Überraschend schob sich die in Zürich promovierende Hanna Gröber auf Rang drei in 38:11 Minuten. „Nach einem ersten Versuch vor acht Jahren am Hochfelln ist dies praktisch mein erster ernsthafter Berglauf“, freute sich die 25jährige Immunologin, die bei der TG Hütten in der Trainingsgruppe von Fabienne Schlumpf eine ideale Trainingspartnerin gefunden hat. „Den eigentlichen Anstoß zum Berglauf hat allerdings meine Freundin Anais Sabrie gegeben, die inzwischen zur Weltklasse im Berg- und Traillauf zählt“. Aber auch andere wie Regina Högl (39:50), die eigentliche Duathletin Annika Vössing (39:54) und die vor zwei Wochen W45-Berglauf-Weltmeisterin gewordene Simone Raatz (40:27) waren nicht unbedingt unter den Tagesschnellsten erwartet worden. Die chancenreichen Sarah Kistner und Melanie Noll hingegen kamen nicht über die Ränge 13 und 14 auf diesem schwer zu laufenden Parcours hinaus.
Das hessische Duell um die Plätze sechs bis acht sicherte sich die zum sechzehnten (!) Masterstitel laufende Simone, gefolgt von der für die LG Odenwald startenden Svenja Clemens, die damit zudem den U20-Meistertitel gewann, und der für das Laufteam Kassel startende Nina Voelkel. Nach überstandenem Bänderriss hatte sich Annika Seefeld wohl auch mehr als Rang zehn vorgestellt, ebenso wie die bereits genannten Sarah Kistner und Melanie Noll. Vor allem Sarah klagte über wenig fitte Beinmuskulatur, die nach den im Schlußteil stark abwärts führenden Mayrhofen Ultraks noch nicht so recht meisterschaftstauglich waren.
Die Überraschung bei den Männern war die Vizemeisterschaft für den erst 16jährigen Schwarzwälder Lukas Ehrle im Trikot der LG Brandenburg, der bislang über die Landesgrenzen hinaus kaum in Erscheinung getreten war (sein bestes Resultat war bislang Rang acht bei den U18-Titelkämpfen über 3000 m in Rostock) und unter seinem Trainer, dem früheren Berglaufass Timo Zeiler, glänzend auf diese Titelkämpfe vorbereitet wurde. „Ich bin mit dem schnellen Anfangstempo bestens zurecht gekommen und habe mich gewundert, dass die anderen mir nicht weglaufen konnten. Ich glaube, ich habe meine Disziplin gefunden!“ freut sich der in die elfte Gymnasialklasse gehende Lukas. Und selbstbewußt richtete er schon einmal eine Aufgabe an seinen Trainer: „Mein Traum ist, einmal Profiläufer zu werden!“ Und den fünffachen Meister Timo Zeiler wird auch eine derartige Aussage nach dem furiosen Auftritt seines Schützlings am Hörnle nicht mehr schocken können. Übrigens: Mit Julia Ehrle stellte sich auch die 14jährige Schwester von Lukas im offenen Rennen der großen Berglauf-Familie vor. Mit einer Superzeit von 41:40 Minuten (gleichbedeutend mit Rang neun im Gesamteinlauf aller Meisterschaftsläuferinnen!) wollte sie gewiss ihrem „großen Bruder“ nicht nachstehen, was ihr auch trefflich gelungen ist. Zweite im Hörnle-Jubiläumslauf wurde übrigens die dem Skibergsteiger-Nationalkader angehörende Tatjana Paller (42:22).
In welcher Verfassung der alte und neue Meister Maximilian Zeus ins Rennen gehen würde, war weitgehend offen. Im Frühjahr hatte er marathonspezifisch trainiert und seine Clubkollegin Anja Scherl beim Mailand-Marathon begleitet, ehe er sich mit kleineren Läufen auf diese Titelkämpfe vorbereiten konnte. „Ich bin seit Frühjahr zudem ganztägig berufstätig und habe dementsprechend einen anderen Rhythmus. Mit der LG Telis-Finanz-Truppe stehen für mich nun allerdings erst die Straßenmeisterschaften an, vielleicht aber auch noch der eine oder andere Berglauf. Natürlich interessiert mich der Nationscup, der anstelle der gestrichenen Weltmeisterschaften im November in Italien stattfinden wird!“ Vor zwei Wochen war er „testweise“ bei den Chiemgau Trails über die Halbmarathondistanz schon einmal unterwegs, die er nach Belieben für sich entscheiden konnte.
Als Mitfavorit wurde Maxi’s Teamkollege Konstantin Wedel gehandelt, der sich allerdings eher mit vielen Laufkilometern als mit Berglauftraining neben der Familienbetreuung (Sohn Yonatan ist elf Monate alt) und seiner Vollzeitbeschäftigung als selbstständiger Masseur in Fürth beschäftigt. „Für den anstehenden Marathonstart in Sevilla kann ich mir einen Zeitplan machen, ich muss einfach sehen, wie dies mit den vielfältigen Belastungen möglich ist!“.
Gleich eine Reihe von eher in der Berglaufszene wenig bekannten Läufern tummelten sich auf den weiteren Spitzenplätzen. Mit Jonas Hoffmann (4.) und Fabian Jenne (6.) liefen gleich zwei Starter der SG Wenden in einer dichten Leistungsspitze ein, in der Teamwertung gab es für die Sauerländer Silber hinter der überragenden LG Telis Finanz Regensburg. Mit den Abele-Brüdern und dem M40-Sieger Jörn Harland wurde der SSC Hanau-Rodenbach Dritter. Sehr zur Freude des früheren Berglauf-Ass Martin Sambale, der übrigens M55-Sieger wurde, schaffte der 21jährige eigentliche Skibergsteiger David als Zehnter eine Topplatzierung.
Überhaupt waren die erfahrenen Bergläufer in der erweiterten Spitze glänzend vertreten. So belegte der M45-Sieger Thomas Kotissek mit 34:27 Minuten einen glänzenden Rang 12, M50-Sieger Markus Mey (35:19) als M50-Sieger Rang 20.
Bliebe noch ein Blick auf die Frauen-Mannschaftswertung. In Abwesenheit des ASC Darmstadt, der 2019 in Breitungen erfolgreich war, gewann der PTSV Rosenheim mit allerdings nur 24 Sekunden Vorsprung vor der SG Wenden und dem SSC Hanau-Rodenbach, der mit einer reinen U20-Mannschaft die Bronzemedaille gewann.