Jogging-Boom angesichts der gesperrten Sportstätten und Fitness-Studios – Während der gesamte Sport unter den Einschränkungen leidet, hofiert die Politik den Profifußball
Seit Wochen hält COVID-19 die Welt in Atem, schränkt in entscheidendem Maße den Alltag ein und führt letztlich auch zu einem Stopp aller organisierten Sportveranstaltungen. Gleichgültig ob medienträchtige Ereignisse wie Olympische Spiele oder die Bundesligen im Fußball und Handball oder Laufveranstaltungen mit überwiegend Freizeit- und Breitensportlern und einem kleinen Anteil Professionals. Große Frühjahrsläufe wie der Paderborner Osterlauf, der Würzburger Residenzlauf, der Berliner Halbmarathon oder die angesagten Marathonläufe von Boston über Bonn, London, Hannover und Hamburg bis hin nach Prag und Würzburg – sie alle finden bzw. fanden nicht statt und sind zum Teil auf den ehedem schon proppevollen Herbst-Laufkalender verschoben – mit nicht absehbaren Folgen. Der Deutsche Leichtathletik- Verband hat alle Meisterschaften bis in den Spätsommer hinein abgesagt und nur zum Teil Nachholtermine in Aussicht gestellt.
German Road Races (GRR) e.V. als Interessensvertretung der deutschen Läufe hat nicht nur die Absagen von hochkarätigen Laufevents auf der Website dokumentiert, sondern sich auch in vielfältiger Weise den Sorgen und Nöten der Laufveranstalter angenommen.
„Die wirtschaftlichen Verluste der Laufveranstalter sind immens, ein Jahr Vorbereitung auf das geplante Laufereignis sind vergebens, denn die behördlichen Absagen führen zu erheblichen finanziellen Belastungen durch Personal- und Materialkosten“, beklagt der GRR-Vorsitzende Horst Milde, „diese Ausfälle sind teilweise existenzbedrohend! Deshalb fordern wir: Kein Veranstalter und kein Organisator darf pleite gehen!“
Die Mit großer Vehemenz setzt sich German Road Races für seine Mitglieder mit 120 Veranstaltungen mit zuletzt über 400.000 Finishern ein. Die Forderungen an die Politik reichen bis zu einem Rettungsschirm, der auch über die Laufveranstalter gespannt werden müsse und ein einmaliges Ausfallgeld umfasse. „Für die Laufveranstalter wie auch für die Kleinbetriebe der Veranstaltungswirtschaft müssen nicht rückzahlbare Zuschüsse für die Ausfälle bereitgestellt werden!“ Zugleich richtet German Road Races einen Appell an alle Lauf-Organisatoren, die von der behördlich angeordneten Absage ihrer Veranstaltung betroffen sind, keine Verschiebung in den ehedem übervollen Herbst-Terminkalender zu planen. „Damit werden diese Veranstalter ebenso beschädigt und verlieren einen Teil ihrer Teilnehmer. Das ist unkollegial und unsolidarisch. Letztlich bedeutet dies einen Kannibalisierungseffekt unter den Laufveranstaltern!“ hofft Horst Milde auf ein Höchstmaß an Solidarität. Außerdem ist aktuell noch nicht absehbar, ob nicht auch die geplanten Herbstläufe noch abgesagt werden müssen.
Soweit die „große Laufbühne“. Doch auch in den Ebenen darunter wie beim Berg- und Traillaufen ist Stillstand angesagt. Die ersten Frühjahrs-Veranstaltungen wie der Nanstein-Berglauf und der Rocky-Mountain-Lauf in Rockenhausen machten mit ihren Absagen den Anfang, andere wie der Kyffhäuser Berglauf, der Trailrun 21, der Feldberglauf und der Kandel-Berglauf folgten. Inzwischen sind bis Ende Juni gemäss den Verordnungen von Bund, Ländern und Kommunen nicht nur die Großveranstaltungen wie der Rennsteiglauf abgesagt, sondern auch die mittelgroßen und kleineren Veranstaltungen wie der Hundseck-Berglauf oder der Osterfelder Berglauf.
Ähnlich ist freilich die Situation in der Schweiz und Österreich, wo ebenfalls Verbote bis Juni hinein gelten. Unter diese Regelungen fallen freilich nicht nur gemäß dem Terminkalender der Aletsch-Halbmarathon oder der Großglocknerlauf, sondern auch weitaus später terminierte Veranstaltungen wie der Stubai Ultratrail, der Montafon Arlberg-Marathon und Inferno-Halbmarathon sind bereits abgesagt. Die von den internationalen Fachverbänden geplanten Titelkämpfe wie die Europameisterschaften in Cinfaes (Portugal), die Masters-EM in Porto Moniz auf Madeira oder der U18 Youth Cup in Ambleside (Großbritannien) sind entweder ersatzlos gestrichen oder auf einem Termin im Oktober oder November platziert, ein Großteil des WMRA World-Cup ist bereits abgesagt, sodass ein Restprogramm zur Makulatur werden dürfte.
Während die politischen Krisenmanager Söder und Laschet als Landesfürsten in Bayern und Nordrhein- Westfalen im Verbund mit Bundesgesundheitsminister Spahn gemäß der römischen Praxis von „Brot und Spiele“ für den 9. Mai die Fortsetzung der Fußball-Bundesliga als „Opium für das Volk“ angekündigt haben, muss der komplette organisierte und nicht-organisierte Sport weiterhin mit einem Höchstmaß an Einschränkungen leben. Prominente Leichtathleten wie Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler brachten es treffend auf den Punkt: „Der Politik scheint es wichtiger zu sein, dass der Ball rollt als dass alle Sportarten gleichbehandelt werden!“ Und der deutsche Marathon-Rekordhalter Arne Gabius sieht die geplanten 20.000 Coronatests bei den Fußball-Edelkickern (die Dritte Liga und alle Amateur-Spielklassen sind weiterhin in der Warteschleife) höchst kritisch, diese seien in den Pflegeberufen und Altenheimen weitaus besser eingesetzt als beim Profifußball.
Was bleibt derzeit? Für den Straßenläufer gibt es derzeit die „Start“gelegenheit bei einem der Virtual Races, die Ergebnisse gehen in vielen Fällen sogar in eine Rangliste ein. Oder unter „Laborbedingungen“ wie Florian Neuschwander und kurze Zeit später Mathias Kyburz einen 50 km-Weltrekord auf dem Laufband zu laufen oder eine inoffizielle 10 km-Saisonbestmarke wie Andreas Vojta in Wien in früher Morgenstunde solo aufzustellen. Oder um ein Beispiel aus dem Berglaufbereich zu nennen: Wie Pascal sechsmal die 7,2 km lange Strecke zum pfälzischen Donnersberg mit 418 Höhenmetern zu laufen.
Der Veranstaltungssektor könnte in der zweiten Jahreshälfte wieder geöffnet werden, sicher jedenfalls ist dies nicht. Skeptiker behaupten bereits schon heute, dass es möglicherweise in diesen Jahr keine Laufevents mehr stattfinden könnten. Was spricht allerdings für die Durchführung von kleinen landschaftsorientierten Läufen, die keineswegs als Massenveranstaltung mit einem möglichen gesundheitlichen Infektionsrisiko angesehen werden können. 200 oder auch 500 Berg- und Trailläufer entzerren sich schon alleine aufgrund der Topografie rasch, sodass Laufpulks auf einem Großteil der Strecke absolut selten sind.
Berglauf-Journal-Herausgeber und langjähriger Mittel- und Langstreckentrainer Wilfried Raatz kann sich sehr gut vorstellen, den von ihm organisierten über knappe 13 Kilometer führenden Kaiserturmlauf über 430 Höhenmeter im hessischen Odenwald ab Juli im Monatsrhythmus als Einzelstart (im 15-Sekunden-Abstand) ohne besondere Serviceleistungen und Ehrungsmodalitäten als Fitnesstest durchzuführen. Natürlich auch unter Einhaltung aller Kontakteinschränkungen für die Eventmitarbeiter.
Nicht alleine das herrliche Frühlingswetter sorgt für einen Laufboom. In einer Zeit, in der die kommunalen und Vereins-Sportstätten ebenso wie die Fitness-Studios geschlossen sind, das Vereins-Sportangebot per Anweisung ebenfalls ausgesetzt ist. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Laufboom innerhalb der Bevölkerung auch nach Lockerung der Einschränkungen anhält und dem organisierten Laufsport zu einem weiteren Anstieg der Teilnehmerzahlen verhilft. Parkwege und Waldstrecken erleben derzeit eine Renaissance, sodaß möglicherweise landschaftsorientierte Laufevents wie die vielen (kleinen) Berg- und Trailläufe einen merklichen Aufschwung erleben könnten.
Im Vordergrund aller sportlicher Bemühungen jedenfalls steht eines: Verstärkt im Grundlagenausdauerbereich trainieren, koordinative und muskuläre Defizite ausmerzen und dabei effektiv das Immunsystem stärken. Mittel- und Langstreckenläufer jedenfalls sind bei der Spezies Leichtathleten eher privilegiert, schließlich ist in deutschen Landen Laufen alleine oder in gebührendem Abstand auch zu zweit möglich. Wie auch immer geartet, die Gesundung der Bevölkerung steht im Mittelpunkt aller Bemühungen. Voraussetzung ist jedoch, dass sich alle vorbehaltlos hinter die Maßnahmen der Politiker und Mediziner stellen und keine Verschwörungstherorien irgendwelcher Gruppierungen vermuten. Verfrühte und populistische Lockerungen der Maßnahmen sind kontraproduktiv und können letztlich zu einer Verschärfung aller Einschränkungen führen.