Regen, Schnee und starker Wind: Absolutes Verständnis für die Entscheidung der Organisation mit Rennabbruch bzw. Umlenkung bei den Davos X-Trails. Kim Schreiber gibt eine starke Visitenkarte ab und möchte im nächsten Jahr die „volle Distanz“ laufen
Für die Organisation der Davos X-Trails gab es für die beiden Hauptwettbewerbe Diamond Rund und Gold Run keine Alternative zum Abbruch bzw. Umleitung – und hatten dabei die davon betroffenen knapp 1000 LäuferInnen durchweg auf ihrer Seite. Wohl selten, dass eine so weitreichende Entscheidung derart überzeugend argumentativ vorgetragen und vor allem auch akzeptiert wurde, wie diese bei der vierten Auflage des im Hochgebirge mit Höhen bis auf 2700 Metern durchgeführten Veranstaltung.

„Die Sicherheit der Läuferinnen und Läufer hatte allerhöchste Priorität“, erklärte Tarzisius Caviezel als Organisationschef der Davos X-Trails, die 2022 den traditionsreichen Swissalpine abgelöst hatten. „Damit nichts passiert, unternahmen wir alles in unserer Macht Stehende! Nachdem wir von erfahrenen Bergführern signalisiert bekamen, dass zwischen Scaletta- und Sertigpass die Sicht teilweise nur 10 Meter betrug, zudem der Regen und Starkregen in Schnee überging, konnte es für uns keine andere Entscheidung geben!“ Und die Fürsorge ging sogar soweit, dass die im Hochalpinen eingesetzten Helfer die Strecken entgegengesetzt zurück bis Dürrboden gingen. „So konnten wir sicherstellen, dass auch niemand mehr unterwegs ist“. Aber auch das sind die Davos X-Trails: Zusätzliche Materialkontrollen über die mitzuführenden Pflichtausrüstung wie im 2007 m hoch gelegenen Verpflegungspunkt Dürrboden führten letztlich auch dazu, dass so mancher der Diamond- und Gold-Läufer aus dem Rennen genommen werden mussten.
Rennabbruch für die Läufer im hinteren Teil des großen Starterfeldes in Dürrboden bzw. Umleitung der Diamond Run-Starter auf die „Gold Run“-Strecke – im Zielraum im Davoser Sportzentrum tummelten sich plötzlich viele Läufer mit den unterschiedlichen Startnummern. Solche, die durch das Dischmatal zurück nach Davos gelaufen waren und andere im hinteren Teil des Läuferfeldes gleich mitgebracht hatten. Andere, die in den eilig hinaufbeorderten Bussen zurückgekehrt waren. Finisher des über 42,7 km und 1424 m führenden Gold Run und letztlich die „verfrühten“ Finisher des Diamond Run (statt den vorgesehenen 67,6 km mit 2606 Höhenmetern wurden es letztlich nur die 42,7 km des Gold Run).
Die Stimmung ausgesprochen locker, heiter und vor allem verständnisvoll. Natürlich klang eine gewisse Enttäuschung vielerorts durch, aber vor allem in Verbindung mit dem Zusatz: Die Organisation hatte keine andere Wahl! Und Tarzisius Caviezel legte noch eine „Schippe“ für die Nicht-Vollendenden nach: „Alle in Dürrboden gestoppten Läufer erhalten natürlich die Medaille und das Finisher-Shirt, über die Vergünstigungen bei einem Start in 2026 werden wir intensiv nachdenken!“ Mit diesen Maßnahmen zog das Organisationsteam noch rechtzeitig die Reißleine. Dass diese Maßnahme zwingend erforderlich war, das zeigte das medizinische Protokoll. Denn neun Läufer mussten per Helikopter aus dem Hochalpinen ausgeflogen werden, da sie stark unterkühlt waren. Auch das muss bei einem Report zur Sprache kommen.
Dass vor und hinter den Kulissen über eine faire Wertung für alle Läufer, gleich ob regulär das Rennen beendet oder nach einer Umleitung das Ziel im Sportzentrum erreicht hatten, diskutiert wurde, das dürfte allen Beteiligten klar sein. Und, das was Guy Nunige, einer der erfahrenen Coaches der im vierten Jahrzehnt durchgeführten alpinen Herausforderung im Bündner Land, bei seiner Rückkehr mit dem Mountainbike sogleich im Ziel formulierte, schien die einzige gangbare Lösung bei der Wertung der letztlich gleichlangen Wettbewerbe: „Man muss die Läufer des Gold Run und die Diamond Run in zwei Wertungen separieren, denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich schon alleine wegen der 68 km das Rennen gestalte oder ob ich über die 42 km laufe!“ Und exakt diese Entscheidung traf die Organisation – und gestaltete so entsprechend die Siegerehrung, die vorgezogen bereits am frühen Nachmittag im leider strömenden Regen im Stadion durchgeführt wurde.
Jene 458 Diamond-bzw. Gold Run-Starter, die sich bereits auf dem Weg zum Scalettapass (2606 m) und weiter zum Sertigpass (2738 m) befanden, bekamen von der Entscheidung der Organisation mit Abbruch bzw. Umlenkung nichts mit. So erfuhren dies die Gold Run-Läufer erst im Ziel, die Diamond Run-Läufer in Sertig Dörfli bei der Umleitung. Statt über den Wasserfall hinauf zur Fanezfurgga (2580 m) ging es für diese über Monstein und Jatzmeder ebenfalls über Clavadel nach Davos zurück – anstelle von 36 galt es noch 11 Kilometer zu meistern.
Trotz gleich zurückgelegter Distanz ist natürlich aus naheliegenden Gründen ein Vergleich der Endresultate nicht fair und spiegelt die eigentlichen Kräfteverhältnisse nicht wider. So durften sich die Diamond Run-Sieger Davide Cheraz nach 3:27:40 und Kim Schreiber nach 3:58:20 Stunden ebenso feiern lassen wie die Gold Run-Sieger Dorian Marchal nach 3:20:09 bzw. Erika Monsch-Dicht nach 4:07:00 Stunden.
Sind wir aber ehrlich, der Verlauf der beiden gleichzeitig gestarteten Rennen in den frühen Morgenstunden verlief an der Spitze überaus spannend und für manche sogar dramatisch. Die Gespräche im Ziel zudem beste Unterhaltung mit vielen Informationsdetails.
Schon nach dem ersten Kilometer hatte sich mit dem nahe Martigny lebenden Dorian Marchal (gemeldet für den Gold Run) ein Läufer an die Spitze gesetzt, der das gesamte Rennen keinen einzigen Läufer mehr zu Gesicht bekam. Und nach Rang vier 2023 und dem Sieg im Vorjahr nun erneut Tagesbester war. Und trotz widriger Bedingungen mit seiner Endzeit von 3:20:09 Stunden lediglich vier Minuten langsamer als 2024 war.
Die Verfolger mit dem Bulgaren Tencho Zhekov und Francois Leboeuf, der in der Vorwoche zusammen mit Judith Wyder das Swiss Athletics Nachwuchs-Trail Camp, betreute, waren früh auf Abstand. Zunächst noch auf Sichtweite, im späteren Verlauf mit dichtem Nebel war auch diese Orientierung hinfällig. Mit einem Rückstand von dreieinhalb Minuten lief der Bulgare als Zweiter ins Ziel und könnte in die Fußstapfen des in Davos als mehrfacher Sieger bereits geehrten Shaban Mustafa treten, der mit 47 Jahren zwar immer noch schnell unterwegs ist und beim Bronze Run nochmals Dritter werden konnte, aber inzwischen zwangsläufig Jüngeren Platz machen muss. Francois Leboeuf wurde mit sechs Minuten Rückstand Dritter, gefolgt von gleich fünf weiteren Eidgenossen auf den Plätzen, ehe mit dem Österreicher Martin Bader der nächste Nicht-Schweizer folgte, allerdings schon 37 Minuten dahinter.
Spannend verlief das Rennen der Frauen im Gold Run, bei der sich die in Klosters beheimatete Erika Monsch-Dicht gegen die DLV-Nationalmannschaftsläuferin Lisa Wimmer mit fast sechs Minuten Vorsprung letztlich durchsetzen konnte. Die 44jährige einstige Profi-Mountainbikerin, zuvor auch schon auf internationalem Niveau fahrende Skiläuferin, spielte dabei ihre hohe Ausdauerfähigkeit und gewiss auch Streckenkenntnisse gegen die eher zu noch längeren Distanzen tendierenden Salomon-Athletin aus Tüssling aus. Selina Bebi sicherte sich Rang drei vor Lena Wagner aus Lörrach-Stetten und der Italienerin Ivana Iozzia, die bei vielen Rennen wie in Davos oder Zermatt Stammgast mit einer Podiumsgarantie ist, aber diesmal nicht über Rang fünf hinauskam.
„Endlich darf ich einmal mit der Startnummer 1 ins Rennen gehen“, freute sich die achtfache Swissalpine-Siegerin Jasmin Nunige vor dem Diamond-Rennen über die von der Organisationsseite aus gezeigten Ehre vor dem Countdown im Sportzentrum. Und vier Stunden später musste sie zugeben: „Ich bin schon enttäuscht!“ Und meinte dabei weniger ihre persönliche Vorstellung, sondern die Umleitung des über 68 km führenden Rennens und damit das halbe Erlebnis. „Ich hatte mich mental auf die lange Strecke eingestellt und habe auf die zweite Streckenhälfte gesetzt. Ich habe mich noch sehr frisch gefühlt…!“ Aber letztlich ist Jasmin Nunige mit der Entscheidung der Organisation ebenso einverstanden („Die Verantwortung der Organisation ist riesengroß!“) wie Larissa und Markus, die im Vorfeld die Schlüsselabschnitte des Diamond Run abgelaufen waren und befanden: „Es ist besser so. Nicht auszudenken, wenn hier Schlimmes passiert wäre!“
„Ich wäre natürlich sehr gerne die 68 gelaufen“, gestand auch Kim Schreiber, die Tagesschnellste der Diamond Run-Starterinnen, die Kolumnistin für das Kölner Laufmagazin „aktiv Laufen“, exzellente Trailläuferin mit einem bunten Strauß an Erfolgen weltweit, und ein „Gesicht“ für das adidas Terrex-Team. „Ich habe noch mit dem Streckenposten an der Weiche diskutiert und immer wieder gesagt, dass ich diesen Weg entlang laufen müsse….“. schilderte sie schlotternd vor Kälte die Vorgänge von unterwegs. „Jetzt muss ich warm duschen – und dann über den Sieg freuen!“ Für Kim Schreiber ist Davos gewiss eine Zwischenstation auf dem Weg zum großen Saisonziel, dem OCC-Wettbewerb über 57 km und 3500 Höhenmetern beim weltweit größten Trailspektakel, dem UTMB in Chamonix.
Bei den Diamond Run-Finishern zeigte sich der Italiener Davide Cheraz in 3:27:40 als Schnellster, gefolgt von Manuele Polli und dem bereits 49jährigen Andreas Schindler aus dem württembergischen Balingen, der „natürlich“ die M40-Klasse mit großem Vorsprung für sich entscheiden konnte.
Ganz unterschiedlich war die Stimmung im Zielgelände auf dem grünen Kunststoffrasen. Wie bei Hans Schweitzer aus dem südhessischen Michelstadt, der gerne seinen 20. Lauf in Davos erfolgreich abgeschlossen hätte, nun aber unverrichteter Dinge mit einem unvollendeten Jubiläum die Heimreise antreten musste. „Ob ich im kommenden Jahr noch einmal starten werde, das weiß ich heute natürlich noch nicht. Schließlich bin ich Neunundsechzig….! Trotz allem eine gewisse Partystimmung hingegen bei Peter Jud, Bruder Rolf, Cousin Stefan und Schwager Michael, die im Gold Run unterwegs waren, umkehren mussten und sich nach dreißig Kilometer wieder am Ziel mit einem Schluck Monsteiner fanden. „Ich finde es super, dass die Veranstalter Verantwortung für die Läufer übernahmen und wir uns auf sie verlassen konnten“, so stellvertretend der in Davos lebende Peter. „Ich bin stolz auf Davos und den Mut der einheimischen Organisatoren. Möglicherweise konnte hier Schlimmeres verhindert werden!“ Der Zugspitzlauf 2008, bei dem es wegen eines plötzlichen Wetterumschwungs zu einem tragischen Unglück kam und zwei Läufer starben, ist auch Peter noch in Erinnerung.
Bleibt noch ein Blick auf die teilnehmerstarken Kurzdistanzen. Den Silver Run über 23,6 km und +631 m/ -279 Höhenmetern gewann der Fribourger Jonas Soldini, der mit starken 1:27:43 Stunden die Konkurrenz in „Grund und Boden“ mit über sieben Minuten Vorsprung lief. Jonas ist gewiss einer der Topläufer der Schweiz, derzeit eher international bei den Golden Trail World Series unterwegs. Der 25jährige angehende Mediziner finishte sogar im Februar beim US-Auftakt Mammoth Uphill als Zweiter und weiß sich bereits für die WM im spanischen Canfranc qualifiziert. Wie stark Jonas Soldini aktuell ist, das mag ein Zahlenvergleich verdeutlichen: Während der wenige Wochen später als EM-Zweiter gefeierte Lukas Ehrle bei seinem Vorjahressieg von Klosters nach Davos bei ungleich besseren Bedingungen 1:27:55 erreichte, war Jonas mit 1:27:43 sogar noch einen Tick schneller. Bei den Frauen setzte sich die eigentliche Skimountaineering-Spezialistin Selina Rüegg aus Klosters nach 1:48:58 Stunden durch.
Gespickt mit jungen Schweizer Trailtalenten an der Spitze ging der Bronze Run über 9,3 km zu Ende, Tagesschnellste waren dabei der erst 14jährige Taino Kohler (33:38) und die 20jährige Axelle Genoud (37:09), der diesjährigen Zweiten beim Aletsch-Halbmarathon auf der Bettmeralp. Für ihr umsichtiges Agieren bei misslichen Verhältnissen bei Regen, Schnee und dichtem Nebel lobte Davos X-Trails-Chef Tarzisius Caviezel ausdrücklich die rund 300 Helfer mit einem „riesengroßen Dankeschön“, schickte aber auch ein „großes Kompliment“ an die Läufer für ihr Durchhaltevermögen und das außerordentliche Verständnis für die Entscheidungen der Organisation. Und stellte mit Stolz den weiteren Anstieg der Teilnehmer auf die Rekordmarke von nunmehr 2631 fest. „Wir gehen Schritt für Schritt auf die 3000er Marke zu. Moderate Steigungen ist unser erklärtes Ziel! Und damit sind wir auf einem guten Weg!“