Kahlschlag im deutschen Berglauf

Mit Melanie Noll wurde die über die Saison hinweg beste deutsche Bergläuferin aus dem nationalen B- Kader geworfen – Auch die WM- und EM-Starter Benedikt Hoffmann und Jonas Lehmann degradiert – Künftige Ausrichtung auf der Berglauf-Langdistanz mit vermeindlich größeren Medaillenchancen?

Konzept oder Konzeptlosigkeit – das ist die Frage im deutschen Berglauf. Im Berglaufkader des DLV für die Saison 2016 ist eine auffällige „Verschlankung“ festzustellen. Mit Stefan Hubert (SV Sömmerda) ist alleine noch ein einziger Bergspezialist vertreten, der bislang die deutschen Farben international vertreten hat. „Hubi“ wurde bei den bergauf führenden Europameisterschaften auf der portugiesischen Blumeninsel Madeira 16, bei den Langdistanz-Weltmeisterschaften 2014 in Manitou Springs wurde er Elfter und sorgte damit für sein bislang bestes internationales Resultat. Dem Vernehmen nach steht in seiner Saisonplanung auch ein Start bei den Langdistanz-Weltmeisterschaften im slowenischen Podbrdo. Seine Nationalmannschaftskollegen Benedikt Hoffmann (bestes Einzelresultat Rang 13 bei der EM 2013) und Jonas Lehmann hingegen müssen den Abstieg aus dem B-Kader in das Sammelbecken „Perspektivkader“ hinnehmen. B-Kader-Aufsteiger sind die Trailläufer Thomas Kühlmann (LG Wettenberg) und Florian Reichert (ASFM Göttingen).

Nach drei WM-Bronzemedaillen auf der Berglauf-Langdistanz (in den Jahren 2010, 2012 und 2014) und Rang vier 2015 sieht man offenbar beim Deutschen Leichtathletik-Verband eher eine Chance auf Spitzenplatzierungen bei den Berglauf-Langdistanzmeisterschaften als auf der traditionellen Normaldistanz und verstärkt die Ausrichtung auf Lang- bis Ultrastrecken. Diese Titelkämpfe finden 2016 jedoch im slowenischen Podbrdo über die Marathondistanz und bergauf und bergab 2800 Höhenmetern statt. Angesichts der steilen und langen Bergabpassagen durchaus grenzwertig, zumal man sich beim DLV bislang eher gegen das Bergablaufen positioniert hat.

Wenn dieses vielleicht noch als Umstrukturierung hingenommen werden kann, dann stimmt jedoch der Rauswurf von Melanie Noll (TSV Annweiler) aus dem B-Kader nachdenklich. Die 32jährige Bankangestellte aus der Pfalz nämlich ist die einzige deutsche Bergläuferin, die sich der internationalen Konkurrenz mit den Starts beim WMRA- World Cup und Rang acht in der Overall-Wertung der Saison 2015 erfolgreich stellte. Hingegen geniest Michelle Maier (PTSV Rosenheim) trotz verkorkster Saison wegen Verletzung die Gunst des Verbandes, denn ohne ersichtlichen Grund gab es für sie ein Upgrate vom Perspektivkader in den B-Kader. 
Die U20-Junioren-Europameisterin und Vize-Weltmeisterin Sarah Kistner (MTV Kronberg) hingegen wird in keinem Berglauf-Kader geführt, da sie als Cross-Team-Europameisterin und U20-EM-Fünfte über 5000 m auch von der Leistungssport-Abteilung des DLV hofiert wird und dort gelistet ist. Der Berglauf hingegen ist nach Verbandsstrukturen dem Allgemeinen Wettkampfsport, sprich Breitensport, zugeordnet, der nach Auffassung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes nachrangig ist. 

Ein Sammelbecken von Quereinsteigern, Fast-Ausgemusterten, Oldies und Jungtalenten ist hingegen der Perspektivkader, der von der Duathlon-Vizeweltmeisterin Julia Viellehner (TSV Altenmarkt) über die zu Ultradistanzen neigende Überraschungs-Berglaufmeisterin Tina Fischl (LG Passau), dem U23-Weltmeister im Skibergsteigen (und früheren U20-Berglauf-EM-Zweiten) Anton Palzer (SK Ramsau), der Skilangläuferin Monique Siegel (SG Adelsberg) mit einem Faible für das Berglaufen bis hin zu Maximilian Zeus (DJK Weiden), dem Berglauf-U20-WM-Zwölften und Duathlon-U20-EM-Zweiten reicht. Offenbar frei nach dem Motto „Wer will noch einmal, wer hat noch nicht…!“

Dann gibt es im Berglaufbereich noch den so genannten Perspektivkader Nachwuchs mit einem überraschend starken bayerischen Einschlag und mit LäuferInnen, die bislang am Berg noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten sind. Ob dieser Ansatz allerdings dem Berglauf den rechten Schub verleihen kann, um aus einer gewissen Lethargie herauszukommen, das ist angesichts des Massenaufgebots ohne Fachbetreuung und einem überaus schmalen Etat fraglich. Die Goldbilanz der Saison 2015 mit zwei Europameisterschaftstiteln durch Sarah Kistner und dem U20-Team ist die bislang beste seit Jahren. Allerdings geschuldet einem Riesentalent namens Sarah Kistner und die Mannschaft komplettierenden Allroundläuferinnen, denen allerdings bislang der Nachweis eines konstanten Leistungsniveaus fehlt.