Am Nebelhorn erhält Souveränität eine neue Bedeutung

Lukas Ehrle stürmt unter einer Stunde zum Nebelhorngipfel und distanziert starke Verfolger deutlich – Showdown bei den Frauen endet mit Soloauftritt von Nina Engelhard vor Laura Hottenrott und Julia Ehrle – Deutschen Berglaufmeisterschaften im Rahmen des 25. Nebelhorn-Berglaufs in Oberstdorf

Wenn ein Berg im sprichwörtlichen Sinne ein Berg ist, dann scheiden sich die Geister. Waren im Vorjahr in Zell am Harmersbach die Kritiker angetreten wegen der Traillastigkeit und Downhillpassagen der Streckenführung, so waren es beim klassischen Berglauf von Oberstdorf zum Nebelhorn über 9,7 km und 1420 Höhenmetern (Eigenslogan: Der härteste Berglauf Deutschlands“) vor allem die strengen Anstiege, bei denen viele sehr frühzeitig in einen Berggang übergegangen waren. Aber letztlich haben die Läufer mit den Füßen abgestimmt (sprich ihre Meldungen abgegeben), im Verbund mit dem „offenen“ Rennen des Nebelhorn-Berglaufes waren es stolze 650 Meldungen, die beim Schweizer Datenservice datasport registriert wurden. Und das ist unbestritten der Spitzenwert, separat gesehen wurden bei den „Deutschen“ wurden 324 Finisher gewertet, darunter 97 Frauen. Das jedenfalls ist „nur“ die eine Seite der Medaille, die andere sind die Topzeiten an der Spitze. „Bestbesetzte DM seit Jahren“ war immer wieder angesichts der am Start stehenden Ehrle mal zwei, Engelhardt, Hottenrott, Notz, Ott und Kistner beispielsweise zu hören.

Bei strahlend blauem Himmel und Temperaturen schon zur Startzeit nahe der 30° Celsius startete der Showdown an der neuen Nebelhorn-Bergbahn – und es ging sogleich kräftig zur Sache. Denn ohne viel Federlesens setzte sich Lukas Ehrle an die Spitze des Feldes, zunächst noch begleitet von Dominik Notz, dem Vorjahressieger auf der zuvor bereits leicht veränderten Strecke am Nebelhorn. Der für die LG Brandenkopf startende inzwischen zur Weltelite im Berglaufen aufgestiegene „Lucki“ hatte zuletzt mit herausragenden Resultaten seine während des Studiums in Oxford im US-Bundesstaat Massachusetts erlangten Leistungsanstieg bis auf 28:40,22 Minuten über 10.000 m und Rang fünf beim WMRA Grand-Prix-Rennen Broken Arrow Skyrace in Squaw Valley bestätigt. Und in dieser überragenden Verfassung stürmte er auf und davon zu 59:32 Minuten auf einer Strecke, die bislang als Bestmarke eine 61 Minuten-Zeit vorzuweisen hatte.

„Nach 3:40 und 4:00 Minuten für die ersten beiden Kilometer war das Feld natürlich schon weit auseinandergezogen und ich musste auch abreißen lassen“, gestand Dominik Notz, der dennoch sein bislang stärkstes Bergrennen abliefern konnte. „Natürlich war es ein Nachteil, die komplette Strecke bei der Hitze alleine laufen zu müssen. An den Wasserstellen konnte ich mir allerdings etwas Kühlung verschaffen. Platz zwei ist eigentlich für mich ein optimales Ergebnis!“ Mit 1:02:01 Stunden lag er allerdings 2:29 Minuten hinter Lukas Ehrle, den er in einer „anderen Liga“ laufen sieht.

Und der überragende Mann des Tages? Der 21jährige Lukas Ehrle strahlt mit der Sonne um die Wette. „Ich bin für meine Verhältnisse nicht einmal zu schnell angelaufen, freue mich natürlich, dass ich als bislang Einziger unter einer Stunde geblieben bin. Trotz Jetlag habe ich meine Chance genutzt und zum Titel gelaufen!“ Und wie geht es nach dem lupenreinen Dreierpack mit den Meistertiteln 2023, 2024 und nun 2025 weiter beim Schwarzwälder? Bereits am kommenden Wochenende startet er beim WMRA Grand Prix in China, beim Chongli Mountain Classica. „Ich möchte mich mit den Weltbesten messen, deshalb habe ich auch dem Grand Prix-Koordinator Jonathan Wyatt zugesagt!“ Fernziel für Lukas Ehrle sind gewiss die Weltmeisterschaften Ende September im spanischen Canfranc. Mit Blick auf eine Medaille? „Das wird sehr hart, da muss ich schon einen absoluten Sahnetag erwischen!“

Für Julius Ott, den deutschen Berglaufmeister 2022, lief das Rennen in einer ersten Bewertung eher „etwas enttäuschend“, da er als Vierter auf der Terrasse der Bergbahnstation einlief. Doch der nach 1:02:09 einlaufende Korbinian Heiland vom SC Partenkirchen hatte lediglich für den „offenen Lauf“ gemeldet, sodass das große Skilanglauftalent des DSV aus der DM-Wertung herausfallen musste. „Mit meinem Lauf bin ich zufrieden, denn die Besetzung war schon sehr stark“, so letztlich das (finaloe) Fazit des in Graz lebenden. Hinter den Medaillenrängen gab es so manche Überraschung. So der vierte Rang von Gabriel Wimmer, der allerdings schon auf einige Topplatzierungen wie beim Hochfelln-Berglauf 2022 aufzuweisen hat, wo er als Dritter hinter dem Österreicher Manuel Innerhofer und dem Slowenen Timotej Becan für kleine Schlagzeilen sorgte. Und Gabriel sorgte für den nicht ganz erwarteten Mannschaftssieg für die LG Telis Finanz Regensburg, für die zudem Maximilian Zeus (8.) und Tobias Ritter (12.) gewertet wurden. Den U20-titel gewann mit Luis Festl ebenfalls ein Berglauffreund der LG Telis Finanz. Die SG Wenden ist seit vielen Jahren ein Medaillengewinner bei nationalen Titelkämpfen, gleich ob auf der Straße, im Crossgelände oder am Berg. Nach dem Titel über die Halbmarathondistanz in Paderborn gab es mit dem starken Allroundläufer Fabian Jenne (7.) die Silbermedaille.

Eine starke Vorstellung gab auch Andreas Schindler, der als Gesamtneunter zudem die M45 vor dem 2023er Europameister Thomas Kotissek gewinnen konnte. Der beim DLV für den Bereich Trailrunning zuständige Florian Reichert sicherte sich die M40-Meisterschaft, Alexander Barnsteiner die in der M50-Kategorie. Bei den Masters gab es übrigens ein Wiedersehen mit dem früheren Nationalmannschaftsläufer Martin Sambale, der die M60 gewinnen konnte. Keine Zweifel hingegen gab es hinsichtlich der Meisterschaft der M65, hier dominierte einmal mehr Winfried Huber, vor wenigen Tagen erst Doppel-Europameister in Nicolosi auf Sizilien geworden.

Viel Gesprächsstoff gab es gewiss im topbesetzten Frauenwettbewerb, trafen doch mit der zweifachen Berglauf-Europameisterin Nina Engelhardt, der dreifachen Meisterin Laura Hoffenrott und der U20-Europameisterin Julia Ehrle aufeinander. Nach längerer verletzungsbedingten Auszeit und der Überbrückung mit semispezifischen Einheiten kehrte Nina allerdings ein einer exzellenten Verfassung zurück in die Berglaufszene. „Ich weiß wirklich nicht, wo ich derzeit stehe!“ gestand Nina vor dem Rennen. Nach der neuen Streckenrekordzeit von 1:09:02 Stunden und einem Vorsprung von 2:10 Minuten auf ihre stärkste Konkurrentin Laura Hottenrott weiß die Läufer des PSV Grün-Weiß Kassel genau, wo sie steht!

„Ich hatte keine Ansprüche an das Rennen. Hauptsache war, das Rennen beschwerdefrei zu beenden. Und das war es. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich so deutlich vor Laura laufen würde. Für mich ist dies ein phänomenales Ergebnis, denn nach einer Schambeinentzündung konnte ich erst im Mai wieder mit Lauftraining starten. Die Strecke war echt heftig, ich hätte mir aber schon mehr Trailelemente gewünscht!“ Nach ihrer Verletzungsphase wird Nina Engelhardt nun mit „viel Augenmaß“ die weitere Saison bis zur WM in Canfranc bestreichen – und dabei eher geplante Wettkämpfe wie den Großglockner Mountain Run am kommenden Sonntag streichen.

„ich bin frustriert“, gestand Laura Hottenrott nach dieser klaren Niederlage gegen ihre Vereinskollegin beim PSV Grün-Weiß Kassel. „Nina hat ihre Last-Kraft-Verhältnisse hervorragend umgesetzt. Auf den ersten Blick schon ein enttäuschendes Ergebnis, aber auf den zweiten Blick bin ich mit meiner Leistung sehr zufrieden, schließlich habe ich nach vielen Straßenläufen den Wechsel zum Berglauf gut geschafft!“ Und mit diesem Blick wird Laura als Vorjahressiegerin bereits am kommenden Wochenende beim Gornergrat Zermatt Marathon starten.

Ein Lachen im Gesicht verrät die Zufriedenheit bei Julia Ehrle, die am Vortag noch einen Pflichtlauf in Richtung U20-EM in Bergen/ Norwegen in Mannheim zu absolvieren hatte. Mit 17:32,09 gewann sie in Mannheim das 5000 m-Rennen vor Franziska Drexler (17:37,29), Ada Werner (17:37,53) und Emily Junginger (17:45,02) und ebnete damit den Weg zum 5000 m-Rennen bei den U20-Europameisterschaften. Und wenige Stunden später gab sie eine Kostprobe ihres Talents am Berg, ihrem geliebten Terrain. „Ich bin allerdings nach Oberstdorf gekommen und wollte vor Ort entscheiden, ob ich an den Start gehen kann oder nicht. Die Option war natürlich, zuschauen und meinen Bruder anfeuern!“ Doch Julia hatte „gute Beine“ und war im Ziel „nur glücklich“, wie sie mit umgehängter Bronzemedaille erleichtert zugab. “Nina und Laura sind schon krasse Konkurrentinnen, da muss ich mich nicht verstecken!“ Dass die 18jährige zudem auch U20.Meisterin wurde, das ist dann schon eher eine Randnotiz. Übrigens: U23-Meisterin wurde die Gesamtzwölfte Julia Rath.

Hinter diesem Promi-Trio ging es munter weiter – mit Überraschungen. Die lange Zeit wie die sicherte Vierte aussehende Sarah Kistner musste diesen im Schlussanstieg nach der Bergstation Höfatsblick an die letztjährige Nebelhornsiegerin Madlen Kappeler abgeben, die sich von 1:17:29 auf nunmehr 1:14:45 Stunden steigern konnte. Sarah folgte 23 Sekunden dahinter. In der Berglaufszene ist Evi Gudelius ein unbeschriebenes Blatt, im Skibergsteigen hingegen eine überaus erfolgreiche Athletin. Und die gewann als Gesamtsechste die W35-Wertung vor Kerstin Bertsch. Im Duell der SSC Hanau-Rodenbacher Frauen unterlag Kerstin als Achte der direkt vor ihr platzierten Franziska Althaus, mit Sarah Winterstein (13.) ging jedoch auch der Mannschaftstitel nach Hessen. Keine Frage gab bei der Vergabe des W40-Titels, denn diesen holte sich in souveräner Manier die Europameisterin Regina Rieger, während mit Monica Carl eine weitere Europameisterin am Nebelhorn hinter der Überraschungsmeisterin Thurid Buch und Tanja Saretzki lediglich W50-Dritte wurde.

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