Laura Hottenrotts überraschende Nachmeldung führt zur erfolgreichen Titelverteidigung am Jenner vor Hanna Gröber und der erstaunlich starken W45-Meisterin Simone Raatz – Newcomer Julius Ott wird auf Anhieb Berglaufmeister vor den zeitgleichen Benedikt Hoffmann und Lukas Ehrle
Der Frust saß zunächst tief – und die Trotzreaktion folge jedoch schon drei Tage später mit einem furiosen Lauf bei den deutschen Berglaufmeisterschaften am Jenner im Berchtesgadener Land am Königssee. Laura Hottenrott ist in der ausklingenden Saison 2022 das Langstreckenass hierzulande. Anfang September gewann die 30jährige Sportwissenschaftlerin zum zweiten Male den Jungfrau-Marathon vor dem majestätischen Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau, vor Wochenfrist den deutschen Halbmarathontitel in Ulm – und nun als „late entry“ die deutsche Berglaufmeisterschaft am Jenner über 8,4 km und 1190 Höhenmeter in neuer Streckenrekordzeit von 54:19 Minuten. Doch was war geschehen? Geplant war eigentlich in der Vorbereitung auf den Frankfurt-Marathon am gleichen Tag „long jog“ beim Kassel-Marathon knapp unter der Drei-Stunden-Marke. Doch Frankfurts Race Director Jo Schindler lud die Kasseler Topläufern wegen dem zu erwartenden Vertragsbruch (die Startverpflichtung sieht vor Frankfurt eine zweimonatige Marathon-Startpause vor) aus. Saisonziel mit der anvisierten Bestzeit ade, doch was tun? Kurzentschlossen switchte Laura um und meldete noch am Donnerstag für die deutschen Berglauf-Meisterschaften nach, bei denen sie im Vorjahr in Bad Kohlgrub den Titel gewonnen hatte.
Sie kam, sah und siegte – in Rekordzeit. Besser geht es wohl kaum, obwohl die Bedingungen alles andere als ideal waren. Anhaltender Regen, dichter Nebel am Königsee und nur geringe Plusgrade am Jennergipfel in 1800 m Höhe. Mit Regenjacke über dem Laufshirt stürmte sie vom Start an der Talstation der Jennerbahn auf und davon, die Konkurrenz schon auf den ersten Laufmetern abgeschüttelt. „Die Strecke hat mir sehr gut gefallen, vor allem die Trailpassagen mit Matsch und vielen Steinen“, gestand eine glückstrahlende Laura Hottenrott als erfolgreiche Titelverteidigerin. Über zwei Minuten musste die Kasseler Langstrecklerin warten, bis mit Hanna Gröber die Zweitplatzierte die Ziellinie auf dem Bergbahn-Plateau erreichte. „Ich bin natürlich super zufrieden“, gestand die promovierte Immunologin und Dritte beim Nations-Cup, der inoffiziellen Weltmeisterschaften in Val Bregaglia, „denn bis Juli war ich mehr oder weniger dauerverletzt und durch Corona zurückgeworfen!“ Mit 56:41 blieb auch die Tübingerin mit Studienort Zürich auch noch knapp unter der bestehenden Streckenrekordmarke von 56:43 der Kolumbianerin Alexandra Olarte aus dem Jahr 1999.
Dritte – und das war zweifellos die Überraschung auf dem Siegerpodest wurde mit der 46jährigen Simone Raatz eine Mastersläuferin, die bereits im Vorjahr in Bad Kohlgrub als Sechste überraschen konnte und zudem Berglauf-Masters-Weltmeisterin ihrer Altersklasse wurde. „Auch wenn ich keine Trailpassagen laufen kann, konnte ich den dritten Platz bis ins Ziel verteidigen – und erstmals in meiner Laufkarriere bei deutschen Meisterschaften eine Medaille im Frauenbereich gewinnen!“ Die Darmstädterin gewann übrigens „so nebenbei“ ihren 19. Meistertitel in den Masterskategorien mit der breitest möglichen Palette mit Straße, Bahn, Cross und Berg.
Mit Julius Ott hatten selbst die Experten kaum rechnen können, denn der für die TSG Weinheim startende 25jährige lebt nach Studienaufenthalten in Norwegen und Japan in Graz und war bislang noch nie bei deutschen Meisterschaften gestartet. Dafür bei einigen international stark besetzten Rennen wie dem legendären Sierre-Zinal über 33 km (auf Platz 36) oder beim Großglockner-Berglauf (auf Rang 16), bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften in Gobernitz wurde er Fünfter, mit dem Schafberglauf hatte er zumindest einen beachtenswerten Sieg auf seinem Konto. Am Jenner jedenfalls stürmte der an seinem Studienort Graz für running Graz im Bereich der Kreislaufwirtschaft promovierende Julius Ott an einen Sahnetag schon nach etwas mehr als zwei Kilometer an die Spitze und gab diese gegen die keinesfalls schwache Konkurrenz nicht mehr ab. Und gab diese Führung überraschend bis ins Ziel hinein nicht mehr ab, mit 47:24 Minuten lag er letztlich 18 Sekunden vor den beiden Brust an Brust ins Ziel stürmenden Benedikt Hoffmann und Lukas Ehrle. Ich wußte natürlich nicht, was ich erwarten konnte“, bekannte der Überraschungsmeister im Ziel. „Ich hatte vor allem Freude im zweiten Teil der Strecke, als es aus dem Wald und den breiten Forstwegen auf Single Trails ging! Durch das Duell um Platz zwei ist natürlich mein Vorsprung etwas geschmolzen, aber dennoch groß genug!“ Und das Geheimnis seines Erfolgs? „Ich passe meine Trainingsinhalte den Anforderungen in Studium und Arbeit an. Ich habe keinen regelrechten Plan, mir reicht es, wenn ich im Studium vieles vorgeschrieben bekomme!“
Richtig zur Sache ging es dahinter um DM-Silber. Routinier Benedikt Hoffmann und U20-Europameister Lukas Ehrle schenkten sich in der Tat nichts, versuchten selbst auf dem schmalen Trailpfad eine vorzeitige Entscheidung herbeizuführen, behakten sich noch auf den rustikalen Treppenstufen kurz vor der Ziellinie, um letztlich ohne erkennbaren Vorsprung durch die Zielschranken zu laufen – und wurden beide mit 47:42 auf Rang zwei gesetzt. „Es ist einfach Pech“, gestand Benedikt Hoffmann, der seit einigen Jahren einem deutschen Meistertitel im Berglauf hinterherjagt. „Immer ist einer vor mir, diesmal hatte ich Maximilian Zeus und nach meinem Gefühl auch Lukas Ehrle im Griff, dann kommt einer wie Julius Ott vor mir ins Ziel…!“
Während der 37jährige Lehrer noch mit dem geteilten Rang haderte, freute sich der 18jährige Lukas Ehrle über eine herausragende Saison, die nach dem Berglauf-Europameistertitel zwei weitere nationale U20-Titel über 10 km und im Berglauf bescherten. „Im Gegensatz zu Bad Kohlgrub hatten wir heute das andere Extrem, ich habe aber festgestellt, dass ich beides kann!“ Im Vorjahr wurde er auf einer eher welligen Strecke in Bad Kohlgrub hinter Maximilian Zeus Vizemeister der Männer, ebenso wie auf einer selektiven Strecke mit einer durchschnittlichen Steigung von 14 Prozent. Und blickt voraus: „Zuerst einmal Pause und dann wird im Cross wieder angegriffen!“ Schließlich reizt den Schützling von Timo Zeiler ein Start bei den Cross-Europameisterschaften im Dezember in Turin.
Übrigens sorgte die 15jährige Schwester von Lukas Ehrle für ein überragendes Ergebnis. Aufgrund ihres Alters war nämlich Julia noch nicht startberechtigt, lief aber mit 56:02 Minuten ein herausragendes Resultat als Zweitschnellste aller weiblichen Starterinnen. Wir jedenfalls dürfen uns auf das Jahr 2023 freuen, wenn das Villinger Talent nicht nur national, sondern auch international startberechtigt sein wird.
Überhaupt konnten einige junge LäuferInnen auf sich aufmerksam machen. Da ist der 22jährige David Sambale, Sohn des früheren Nationalmannschaftsläufers Martin Sambale, als Fünfter ebenso zu nennen wie auch dessen 20jähriger Bruder Simon auf Rang 12, ebenso der ebenfalls 22jährige Allroundläufer Marius Abele als Elfter, der übrigens das mit der zahlenmäßig größten Vertretung ins Rennen gegangenen SSC Hanau-Rodenbach bei den Männern zur Team-Meisterschaft vor dem PTSV Rosenheim führen konnte. Bei den Frauen gewann hingegen der PTSV Rosenheim vor der LG Allgäu und wiederum dem SSC Hanau-Rodenbach.
Hoch gelobt wurden die Organisatoren des SK Berchtesgaden von Willi Wahl, dem vom Bayrischen Leichtathletik-Verband eingesetzten Wettkampfleiter: „Man merkt auf Schritt und Tritt, dass mit dem SK Berchtesgaden ein Ausrichter mit unzähliger nationaler und internationaler Erfahrung vor allem im Skisport tätig ist. Da kann man nur Glückwunsch sagen!“ Gewiss eine starke Werbung für den Berglauf, wenngleich auch nur 153 LäuferInnen den Weg ins Berchtesgadener Land gefunden hatten.